„Als Baugutachter durch den Osten“ von Ulrich Springer. –
Bei Sachverständigen für Immobilienbewertungen weckt dieser Titel Neugierde, für den interessierten Laien dagegen ist es „ein Buch mit sieben Siegeln“. Doch macht sich der Leser auf den Weg in die dort beschriebene Welt, dann wird er mitgenommen auf eine abwechslungsreiche, spannende Zeit in eine Welt voller Besonderheiten und Absurditäten. Man blickt auf Gebäude, Ferienbungalows, Fabriken, Bunker …, in denen Polit- und Parteiprominenz sowie der Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR – dem Blick des Volkes entzogen – gelebt, gefeiert und Pläne geschmiedet haben.
Dem Autor – im Osten aufgewachsen dann in den Westen verschlagen – tun sich als Baugutachter nach der Wende Tür und Tor zu einer sozialistischen Metawelt auf. So steht er plötzlich im Schlaf- und Sterbezimmer von Walter Ulbricht, Jahre nach dessen Tod noch bewacht wie ein Heiligtum und nur einmal „entweiht“, als Ulbrichts Ziehsohn – Erich Honecker – hier sein müdes Haupt bettete.
Doch der Blick des Baugutachters geht über den realen Sozialismus in der ehemaligen DDR hinaus (nicht nur) in die Bruderstaaten des Ostens.
Sehr eindrucksvoll ist auch die Aufbauhilfe, die Herr Springer gemeinsam mit Kollegen bei der Erfassung von Bauflächen und der Erstellung von Bodenleitwertkarten leistete.
Der Bericht des Baugutachters ist eine geschickte Verknüpfung von gesellschaftlichen, politischen, ideologischen und auch menschlichen Eigenheiten hinter den Mauern der begutachteten Bauten. Und das in einem gekonnt amüsanten und kurzweiligen Stil, der das Lesen sehr anregend macht.
Ein gelungenes Zeitzeugnis – ein Ausschnitt in authentischer Form aus einem einmaligen, politischen Großereignis, dem Zusammenbruch des sozialistischen Herrschaftssystems. Ein beeindruckendes Wertgutachten!
Clemens Focks (gekürzte Fassung)